Ich muss dir etwas gestehen: Ich bin kein Landwirt. Bevor du jetzt aufhörst zu lesen und dich fragst, warum ich mir überhaupt erlaube, über die Erfahrungen von Landwirtinnen und Landwirten zu schreiben, lass mich noch kurz etwas erklären.
Als ich bei Farmable angefangen habe, kam ich mit blauäugiger Begeisterung. Ich wollte meine Expertise aus anderen Branchen dafür nutzen, die Landwirtschaft zu verändern und Landwirt:innen dabei zu helfen, die Herausforderungen der Landwirtschaft mit den Mitteln des digitalen Zeitalters zu meistern.
Nach mehr als zweieinhalb Jahren bei Farmable habe ich eine wichtige Erkenntnis gewonnen: Vergiss all meine Lösungen, Landwirtschaft ist einfach sauschwer! Ich kann mir nicht mal vorstellen, wie viel mentale Stärke und Willenskraft sie erfordert.
Deswegen will ich diese Gelegenheit nutzen und alle Landwirt:innen da draußen Respekt zollen, indem ich hier ihre Herausforderungen aufzeige – insbesondere angesichts der bevorstehenden neuen Nachhaltigkeitsregeln für die Landwirtschaft.
Landwirt:innen arbeiten jeden Tag, den ganzen Tag
Natürlich gibt es ruhigere Zeiten im Laufe des Jahres, je nachdem, wo auf der Welt du deinen Betrieb hast. Aber du kannst nie ganz abschalten. Du kannst nicht am Ende des Arbeitstages die Firma verlassen und Feierabend machen, wie in einem Angestelltenjob.
Viele Landwirt:innen leben auf ihrem Betrieb. Wenn sie den Hof verlieren, verlieren sie oft auch ihr Zuhause. Häufig ist der Betrieb seit Generationen im Besitz der Familie. Es ist also definitiv persönlich und nicht „nur Arbeit“.
Landwirtschaft ist zum großen Teil körperliche Arbeit. Selbst mit Maschinen, Sensoren und Drohnen. Schließlich müssen diese Hilfsmittel bedient, gewartet und auf dem neuesten Stand gehalten werden. Die Liste lässt sich unendlich verlängern.
Kleine und mittelgroße Betriebe machen den Großteil der weltweiten Landwirtschaft aus
Diese familiengeführten Betriebe produzieren häufig den Großteil der Lebensmittel und sind sehr wichtig für die Entwicklung des ländlichen Raums. Die betriebsführenden Landwirt:innen sind Unternehmer:innen und im Tagesgeschäft oft weitgehend auf sich selbst gestellt. Und das ist noch nicht mal der schwierigste Teil.
Die alltäglichen Herausforderungen
Landwirt:innen müssen vielen verschiedenen Herausforderungen begegnen.
Beschaffungskosten
Die Kosten für Betriebsmittel wie Saatgut, Dünger und Treibstoff sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Das kann es sehr schwer machen, profitabel zu bleiben, besonders wenn die Marktpreise niedrig sind.
Mangel an Arbeitskräften
Viele Landwirt:innen leiden unter dem Fachkräftemangel. Dazu tragen unter anderem Einwanderungspolitik und Verstädterung bei. Das kann es Landwirt:innen schwer machen, die Arbeitskräfte zu finden, die sie für Anbau, Ernte und Pflege ihrer Kulturen benötigen.
Diese Herausforderung wurde während der Corona-Pandemie besonders deutlich, als keine Erntehelfer:innen aus anderen Ländern einreisen durften. Landwirt:innen verloren teilweise ihre Ernten, weil sie niemanden hatten, der sie einbringen konnte.
Zugang zu Finanzierung
Die Kosten für Land, Ausrüstung und Technologie können eine große Hürde für Landwirt:innen sein, insbesondere für junge oder neue Landwirt:innen. Der Zugang zu Finanzierung und Krediten ist notwendig, damit Landwirt:innen in ihren Betrieb investieren und nachhaltig wachsen können. Die Besonderheit der Landwirtschaft besteht darin, dass die Betriebsgebäude selbst als Sicherheit dienen.
Das bedeutet, wenn der Betrieb scheitert, fällt der Hof an die Bank. Durch diese starke Verflechtung haben Landwirt:innen eine sehr geringe Ausfallquote. Andererseits verlieren Landwirt:innen und ihre Familien auch ihr Zuhause, wenn sie den Betrieb aufgeben. Sie gehen also ein sehr hohes persönliches Risiko ein, das oft in keinem Verhältnis zu den potentiellen Gewinnen aus der Landwirtschaft steht.
Psychische Gesundheit
Der Stress und die Einsamkeit der Landwirtschaft können einen negativen Einfluss auf die psychische Gesundheit von Landwirt:innen haben. Es ist sehr wichtig, dass Landwirt:innen Zugang zu Unterstützung und Ressourcen erhalten, die ihnen dabei helfen, mit den Herausforderungen ihres Berufes umzugehen. Es gibt einige Selbsthilfegruppen auf lokaler oder regionaler Ebene. Allerdings ist das Thema psychische Gesundheit nach wie vor mit einem Tabu belegt, das es zu überwinden gilt.
Externe Faktoren
Zusätzlich zu diesen alltäglichen Herausforderungen sind Landwirt:innen auch in größere Systeme eingebunden, zum Beispiel die Märkte, den Staat und die Umwelt. Diese Systeme wirken sich stark auf die Landwirt:innen aus und werden andererseits von diesen beeinflusst.
Marktschwankungen
Landwirt:innen sind oft Marktschwankungen ausgeliefert, die die Wirtschaftlichkeit ihrer Betriebe sehr beeinflussen. Die Preise für Erzeugnisse wie Obst und Gemüse können stark schwanken, was es den Landwirt:innen schwer macht, zu planen und zu haushalten. Auch das war während der Corona-Pandemie deutlich sichtbar.
Wenn jetzt noch größere Themen hinzukommen, ist es kein Wunder, dass sich viele überfordert fühlen.
Klimawandel
Der Klimawandel betrifft Landwirt:innen auf sehr unterschiedliche Weise: von extremen Wetterereignissen und Dürren bis hin zu veränderten Niederschlagsmustern und steigenden Temperaturen. Diese Veränderungen können zu Ernteausfällen, geringeren Erträgen und höheren Betriebskosten führen.
Als Ergebnis der 17 Nachhaltigkeitsziele der UNplanen viele Länder eine Reihen von Nachhaltigkeitsregeln, um Emissionen zu reduzieren und die digitale Erfassung landwirtschaftlicher Aktivitäten zu verbessern. Für Landwirt:innen bedeutet das eine ganz neue Ebene von Herausforderungen, mit denen sie umgehen müssen.
Anpassung an neue Vorschriften
Landwirt:innen müssen sich an die neuen Vorschriften anpassen, zum Beispiel in Bezug auf nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken und Umweltschutz. Diese Regelungen können komplex sein, und Landwirt:innen brauchen vielleicht zusätzliche Schulungen und Hilfe bei der Umsetzung.
Einführung neuer Technologien
Neue Techniken wie Präzisionslandwirtschaft können einschüchternd sein, vor allem, wenn man noch nicht weiß, was man sich darunter vorzustellen hat. Und selbst wenn, hat jede einzelne Technologie andere Funktionen und Besonderheiten. Auch hierfür brauchen Landwirt:innen zusätzliche Schulungen und Unterstützung, um sie effektiv nutzen zu können.
Dabei fehlt ein Ansatz für Technologie in der Landwirtschaft, der die Menschen in den Mittelpunkt stellt. Das ist eine der zentralen Herausforderungen, die wir bei Farmable angehen wollen.
Wir wissen selbst, dass wir nicht jede einzelne Herausforderung lösen können, mit der Landwirt:innen konfrontiert sind. Unser Ziel ist es, eine produktivere und effektivere Agrarindustrie zu schaffen, die Landwirt:innen in den Mittelpunkt stellt. Alle Funktionen und Lösungen sind also auf die Erfahrungen der Landwirt:innen als Nutzer:innen abgestimmt.
Was können Landwirt:innen tun, um der Entwicklung einen Schritt voraus zu sein?
Staatliche Maßnahmen, finanzielle und technische Unterstützung sowie die Zusammenarbeit mit anderen Interessengruppen können Landwirt:innen dabei helfen, sich an neue Regelungen wie Umweltbestimmungen anzupassen und neue Märkte zu erschließen. Es ist wichtig, dass die Landwirt:innen auf dem Laufenden bleiben, Unterstützung und Ressourcen suchen und annehmen, und nach Möglichkeiten Ausschau halten, die ihren Betrieb verbessern können.
Der Einstieg in die digitale Landwirtschaft ist ein guter Anfang, um sich auf die Einhaltung der bevorstehenden Nachhaltigkeitsregeln vorzubereiten.