Präzisionslandwirtschaft ist eine Reise. Lars Petter Blikom berichtet von seinen Erfahrungen aus den Welten der Landwirtschaft und der Technologie.
Der Originalbeitrag wurde von Lars Petter Blikom in englischer Sprache veröffentlicht. Deutsche Übersetzung von Max Bangen.
Ich bin Obsterzeuger. In den letzten 7 Jahren habe ich viele andere Obstbauern und Landwirte kennengelernt, sowohl in meinem Heimatland Norwegen als auch auf der ganzen Welt. Ich habe den tiefsten Respekt vor der Arbeit der Landwirte entwickelt.
Tag für Tag verbessern sie Fachkenntnisse und Arbeitsweisen ihre Flächen zu kultivieren und große Mengen qualitativ hochwertiger Lebensmittel anzubauen. Nach Tausenden von Jahren ist das, was Landwirte tun, ziemlich präzise. Es ist nicht einfach, Lebensmittel zu produzieren.
Auf einmal sagt der Teil der Bevölkerung, der die Lebensmittel isst, dem Erzeuger nun, er solle auf „Präzisionslandwirtschaft“ umsteigen.
Wer spricht für den Erzeuger?
Meine beruflicher Hintergrund ist in anderen Branchen und meine Ausbildung war in der Welt der Technologie. Meine 17 Jahre Berufserfahrung haben mich durch die Hypes des Internets-der-Dinge (IoT), Maschinenlernens und all den anderen Schlagwörtern der letzten paar Jahrzehnte geführt. Als ältestes Kind auf einem Bauernhof wurde ich mit dem fragwürdigen Recht auf ein lohnenswertes Leben als Landwirt geboren, und vor 7 Jahren war meine Zeit gekommen.
Ich schreibe dies in erster Linie als Erzeuger, vielleicht mit einem ungewöhnlichen, technologischen Hintergrund, aber dennoch als Obstbauer.
Die Landwirtschaft ist ein riesiger Industriezweig. Einige der größten Unternehmen der Welt sind von ihr abhängig. Und auch die gesamte Lebensmittelindustrie ist von ihr abhängig.
Wie in jeder großen Industrie sind alle üblichen Verdächtigen anwesend: Forscher, Experten, Geldgeber, Gesetzgeber, Führungskräfte aus großen Unternehmen, Investoren – sie treffen sich auf Konferenzen und Seminaren und tauschen Publikatioen, Fachartikel und Geschäftsideen aus. Sie reden und diskutieren über wichtige Dinge, wie zum Beispiel „Was ist Präzisionslandwirtschaft?“
Doch wer ist nicht dabei? Wessen Stimme ist nicht anwesend? Die der Landwirte.
Erzeuger haben keine Zeit, auf Konferenzen herumzuhängen und zu plaudern.
Es gibt eine Vielzahl von Akteuren in dieser Branche, die vollständig vom Landwirt als zentralen Wertschöpfer abhängig sind – und doch sind sie erstaunlich uninteressiert daran, was der Erzeuger braucht, will und denkt.
Ich könnte noch lange über das Ungleichgewicht der Kräfte in der Agrarindustrie sprechen, darüber, dass selbst die größten Landwirte im Vergleich zu ihren Lieferanten und Kunden nicht größer als ein Käfer sind. Wie die geschaffenen Mehrwerte bei denjenigen landen, die die beste Verhandlungsposition haben – niemals beim Erzeuger. Aber das ist nicht das Thema des heutigen Tages.
Präzisionslandwirtschaft definieren
Natürlich wird „Präzisionslandwirtschaft“ von den oben genannten wichtigen Leuten definiert. Auf Wikipedia kannst Du nachlesen, was sie sagen:
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- Vegetationsindexe (NDVI) von Satelliten werden uns sagen, dass unsere schwachen Pflanzen … Du hast es erraten; schwach sind.
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- Kameras mit Bilderkennungsfunktion werden uns sagen, welches Unkraut wir auf den Flächen haben… als ob wir das nicht schon wüssten.
- IoT-Sensoren werden uns sagen, wann wir ernten sollten, um den optimalen Reifegrad zu erreichen … und dabei Details wie Logistik, Arbeitskräftemanagement, Wetter und einige andere Dinge vergessen, die ebenfalls Einfluss auf den Erntezeitpunkt haben.
Schlussfolgere nicht, dass ich gegen diese Konzepte bin; ich bin schließlich Technologe; ich glaube an die Möglichkeitender Bilderkennung; ich weiß, dass Multispektralkameras am Himmel Dinge sehen können, die unsere menschlichen Augen nicht sehen können; ich weiß, dass Sensoren uns eine bessere Entscheidungsgrundlage geben werden. Das Problem ist, dass die Entwicklungen von der Technologie getrieben sind – jemand entdeckt eine schillernde, neue Entwicklung und kommt zu dem Schluss: „Lasst uns das in der Landwirtschaft einsetzen“. Der sinnvollere Weg, die Entwicklung zu lenken, ist jedoch, sie von den Bedürfnissen der Anwender leiten zu lassen.
Aber sie vergessen, die Erzeuger zu fragen, was sie eigentlich brauchen.
Die Lücke zwischen den Bedürfnissen der Landwirte und den neuen Technologien führt dazu, dass diese nur schwer angenommen werden. NDVI-Bilder sind ein gutes Beispiel, sie sind leicht verfügbar, ich kann sie für meinen Betrieb kostengünstig bekommen.
Was ich erhalte, ist eine gelb/grün/rote Übersichtskarte, die Bereiche mit niedriger bis hoher Dichte der Biomasse anzeigt. Das ist interessant, ich kann auf den Schlag gehen und das Wärmebild mit dem realen Leben vergleichen – und sehen, ob es übereinstimmt. Aber was dann? Ich vertraue der Analyse nicht genug, um auf ihrer Grundlage variable Zonen zu erstellen.
Für meine Obstplantagen habe ich sowieso nicht die Geräte, um variable Anwendungen durchzuführen. Und selbst wenn ich sie hätte, wie passe ich die Aufwandmengen an? Was ist die richtige Aufwandmenge für einen gelben Bereich auf dem Wärmebild? In meinem Umfeld ist einfach noch nicht genug Wissen vorhanden, um sich auf dieses Thema einzulassen.
Es ist wie in den frühen Tagen des Internets – erinnerst Du dich an die ganze Arbeit mit Einwahlmodems und das manuelle Herumfummeln an Protokolleinstellungen, bis das verdammte Ding funktioniert? Genau so ist es, und in der Landwirtschaft weiß man erst 3 Monate später, ob es funktioniert hat oder nicht. Wenn nicht, so kann man in der nächsten Saison etwas anderes ausprobieren – es ist der langsamste Lernkreislauf von allen. Man kann sich einfach nicht viele unnötige Experimente leisten, wenn zwischen den einzelnen Versuchen ein Jahr liegt.
Präzisionslandwirtschaft ist eine Reise
Es ist eine Reise, auf der sich die gesamte Landwirtschaft seit Tausenden von Jahren befindet und die so lange andauern wird, wie Menschen Lebensmittel essen. „Präzision“ ist ein Wort, das Sorgfalt, Genauigkeit und Wissen bei der Arbeit und Entscheidungsfindung der Landwirte beschreibt. Ich kann keinen außenstehenden Experten dieses Wort für sich beanspruchen und es zum Synonym für Drohnen, Satelliten und maschinelles Lernen machen lassen. Präzision wird durch das beste Urteilsvermögen eines Erzeugers auf dem Feld erreicht. Landwirte werden immer die besten verfügbaren Werkzeuge und Arbeitsmethoden nutzen, um ihre Entscheidungen zu unterstützen.
Ende des 19. Jahrhunderts bekamen wir den ersten Traktor. Anfang der 1900er Jahre bekamen wir granulierten Dünger. Anfang der 2000er Jahre bekommen wir vielleicht Multispektralkameras. Weiter keine große Sache. Die Herstellung von Lebensmitteln geht auch weiter – wie gewohnt.
Im nächsten Beitrag dieser Serie werden wir diskutieren, welche Herausforderungen die so genannte „Präzisionslandwirtschaft“ lösen muss. Wozu braucht der Erzeuger sie? Und ich denke, wir müssen auch mit ein paar Mythen aufräumen.