Und all das in einem der größten Agrarmärkte Europas. Spanien erzeugt jährlich landwirtschaftliche Erzeugnisse im Wert von mehr als 60 Milliarden Euro. Damit gehört das Land konstant zu den fünf größten Lebensmittelproduzenten in der EU. Bis zum 1. September 2024 melden alle spanischen Landwirtschaftsbetriebe, das sind über 800 000, ihre Pflanzenbehandlungen digital.
Die spanische Regierung ergreift gewichtige Maßnahmen, um Erzeugerbetriebe zu Onlinemeldungen zu bewegen. Ende 2022 kündigte die Regierung an, dass jeder Erzeugerbetrieb in Spanien vom 1. September 2024 an verpflichtet ist, monatlich einen Bericht zu Pflanzenschutzbehandlungen digital einzureichen. Für viele landwirtschaftliche Betriebe kam diese Ankündigung recht überraschend und einige konnten nicht glauben, dass die 800 000 spanischen Betriebe in weniger als zwei Jahren bereit sein könnten, ihre Berichte von einem Offline- auf ein Onlinesystem umzustellen. Seit 2022 leitet der spanische Garantiefonds für die Landwirtschaft (Fondo Español de Garantía Agraria, FEGA) ein zentrales Projekt namens SIEX. In diesem Projekt wurde eine Onlineplattform entwickelt, auf der Erzeuger:innen ihre Pflanzenbehandlungen registrieren können. Die Landwirt:innen kennen diesen Prozess auf Spanisch als „Cuaderno Digital de Explotación“ (CUE) oder einfach übersetzt als „digitales Notizbuch“. CUE nutzt die eindeutige Kennung eines Betriebs auf intelligente Weise, um die Flächengrenzen eines Betriebs automatisch grafisch darzustellen und so das Berichtverfahren zu vereinfachen und weniger fehleranfällig zu machen.
Wir alle wissen, dass Veränderungen schwierig sein können. Wir wissen, dass es schwierig sein kann, neue Praktiken in der Landwirtschaft einzuführen, da Arbeitsabläufe oft innerhalb der Familie weitergegeben werden. So verwischt die Grenze zwischen Traditionen und Denkweisen der Erzeuger:innen.
Wie bringt man also 800 000 landwirtschaftliche Betriebe dazu, ihre Denkweise zu ändern?
Das geht am besten mit Anreizen. Ab diesem Monat schafft die spanische Regierung Anreize zur frühzeitigen Nutzung des „digitalen Notizbuchs“ für landwirtschaftliche Betriebe. Zu diesen Vorteilen gehören z. B.:
- Vorrang für GAP–Subventionszahlungen, d. h. Zahlungen werden früher ausbezahlt als an diejenigen, die CUE nicht nutzen
- Erzeugerbetriebe können zusätzliche Subventionen erhalten
- Niedrigere Geldstrafen bei möglichen Verstößen gegen Präparatbeschränkungen
- Rückerstattung der Kosten für Betriebsmanagementsoftware oder ähnliche Programme, die Betriebe bei der Nutzung digitaler Arbeitsverfahren unterstützen.
Auch bei diesem Punkt ist es wichtig, dem SIEX-Team Anerkennung zu zollen. Der Aufbau einer Technologie, die landwirtschaftliche Betriebe in 17 verschiedenen Regionen Spaniens miteinander verbindet, ist keine Kleinigkeit. Das Team verdient hier gleich mehrfach Anerkennung:
- Regionale Verwaltung: Die Landwirtschaft wird in Spanien auf Regionalebene reguliert. Um die Angleichung zu erreichen und das SIEX-Projekt in allen 17 Regionen voranzubringen, ist also ein beträchtlicher Koordinierungsaufwand erforderlich.
- Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft: Mehr als 90 Privatunternehmen wurden eingeladen, sich an SIEX zu beteiligen. In diesem Rahmen hatten Unternehmen, die ihre Produkte integrieren wollten, auch Zugang zu Testumgebungen.
- Start im Dezember 2023: Erst in den letzten Wochen ist das SIEX-Produkt erfolgreich gestartet! Die Plattform war also rechtzeitig bereitgestellt, damit die Erzeugerbetriebe sie für die Einreichung der CUE-Anträge im Januar 2024 nutzen und die von der Regierung angebotenen Anreize für frühe Anwender:innen in Anspruch nehmen können.
Welche Vorteile haben die Erzeugerbetriebe?
Das erklärte Hauptziel von SIEX ist, landwirtschaftliche Betriebe folgendermaßen zu unterstützen:
1. Effiziente Verwaltung der GAP-Prozesse: Sicherstellen einer effizienten Verwaltung der Agrarsubventionen.
2. Vereinfachung der Betriebsführung für Landwirt:innen: Alle verfügbaren Informationen für die Betriebsführung können wiederverwendet werden, wodurch der Verwaltungsaufwand verringert wird.
3. Analyse von Informationen als Entscheidungsgrundlage für die Politik: Das klingt erst einmal so, als wäre es für den Staat gedacht und nicht für die Erzeugerbetriebe. Je besser jedoch die Informationen politischer Entscheidungsträger:innen über Echtdaten von echten landwirtschaftlichen Betrieben in großem Maßstab verfügen, desto größer sind unsere Hoffnungen, dass die schwierige Realität der Lebensmittelproduktion sich in der zukünftigen Agrarpolitik niederschlägt.
Es gibt noch einen weiteren entscheidenden Faktor für den Erfolg, den wir bisher in Spanien gesehen haben: FEGA, das Team hinter SIEX, hat klar erkannt, wie wichtig die langfristige Umstellung auf digitale Arbeitsabläufe für Erzeugerbetriebe ist. Ein weniger weitsichtiges Team hätte sich nur auf den kurzfristigen Nutzen des reduzierten Verwaltungsaufwands aus den oben genannten Zielen konzentriert. FEGA hat diese digitale Transformation jedoch als eine Chance für die langfristige wirtschaftliche Lebensfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe in Spanien vorangetrieben. In ihrer Eröffnungsrede auf den EU Agri-Food Days am 8. Dezember in Brüssel sprach die FEGA-Präsidentin, Maria José Hernández Mendoza, offen über die Bedeutung harmonisierter Daten, die landwirtschaftliche Betriebe auf die Zukunft vorbereiten, und darüber, dass SIEX mächtig genug ist, um die spanischen Erzeugerbetriebe für zukünftige Technologien zu rüsten.
SIEX will alle verfügbaren Informationen aus dem Agrarsektor digital zusammenführen
Diese visionäre Aussage zeigt, dass man weiß, was im Jahr 2024 in den spanischen landwirtschaftlichen Betrieben wirklich passiert. Indem der FEGA den Betrieben digitale Berichte vorschreibt, zwingt er die Branche, den ersten unbequemen, aber unbedingt notwendigen Schritt zu tun, um von verknüpften Datenquellen profitieren zu können. Drei Gründe drängen sich auf, warum dies für die Zukunft der Landwirtschaft von entscheidender Bedeutung ist:
1. Landwirtschaftsbetriebe sind Unternehmen
Landwirtschaftsbetriebe sind Unternehmen mit vielen Beschränkungen (Wetter, Marktpreise, Verfügbarkeit von Arbeitskräften usw.), die zur Erhaltung der eigenen Wirtschaftlichkeit kontinuierlich optimiert werden müssen. Um deinen Betrieb am Leben zu halten, musst du diese Variablen so gut wie möglich verwalten. Bessere Daten bedeuten dabei bessere Entscheidungsfindung. Der Zugang zu integrierten Daten, wie SIEX ihn anstrebt, bedeutet, dass landwirtschaftliche Betriebe für das Tagesgeschäft ohne Probleme Zugriff auf Markt- oder Präzisionswetterdaten haben.
2. Die Nachverfolgbarkeit ist unverzichtbar.
Ob sie wollen oder nicht, aber die Erzeugerbetriebe müssen auf die Anforderungen ihrer Lieferkette reagieren. Groß- und Einzelhandel wie Verbraucher:innen fordern mehr Transparenz und wollen den Anbau von Nutzpflanzen nachverfolgen können. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würde eine Lawine von Vorschriften über die Betriebe hereinbrechen. Digitale Erzeugerbetriebe können nur durch den sicheren, aber nahtlosen Austausch von Daten mit anderen Gliedern in der Lieferkette durch den Einsatz von Technologie vor dieser Lawine geschützt werden.
3. Weniger Einsatz von Pestiziden.
Im Prinzip wollen das alle. Erzeugerbetriebe möchten weniger Zeit und Geld in den Einsatz von Pestiziden wie auch Düngemitteln stecken, wo immer es geht. Die Gesellschaft und unsere jeweiligen Politiker:innen unterstellen die Industrie einem Mandat, um den Einsatz von Pestiziden zu reduzieren, insbesondere in Europa im Rahmen des EU Green Deal. Der Datenaustausch zwischen Spritzgeräten und Betriebsmanagementsoftware kann Techniken wie das Spritzen von Teilflächen ermöglichen. Dies stellt wohl die realistischste Option für landwirtschaftliche Betriebe dar, um den Einsatz von Pestiziden zu verringern und gleichzeitig die Ernteerträge zu schützen.
Warum ist dies auch über Spanien hinaus wichtig?
Spanien beschreitet in der Landwirtschaft einen bahnbrechenden Weg, der für die meisten anderen Länder nur schwer nachzuahmen ist. In erster Linie sind die Fortschritte der spanischen Landwirt:innen eine Inspiration für andere Länder, indem sie zeigen, welche Vorteile Erzeugerbetriebe haben können, wenn die öffentliche Dateninfrastruktur gut konzipiert ist und gemeinsam genutzt wird. Es gibt Anzeichen dafür, dass zwei andere europäische Länder, die Schweiz und Österreich, diesem Beispiel rasch folgen wollen, indem Sie jeweils eigene Projekte aufsetzen, die parallel zu SIEX in Spanien laufen. Es steht zu erwarten, dass diese Bewegung europaweit an Schwung gewinnt. Nicht nur wegen der oben erwähnten Vorteile für landwirtschaftliche Betriebe, sondern auch wegen der jüngsten EU-Gesetzgebung, die für alle 10 Millionen landwirtschaftlichen Betriebe in der EU bis zum 1. Januar 2026 eine elektronische Berichterstattung über Pflanzenbehandlungen vorschreibt.
Während Erzeugerbetriebe außerhalb Europas den unmittelbaren Druck der gesetzlichen Änderungen vielleicht nicht spüren, sollte die Notwendigkeit, zukunftsfähig und langfristig wirtschaftlich rentabel zu sein, ein Anreiz sein, digitalen Projekten Priorität einzuräumen. Für die Länder, die nach bewährten Praktiken suchen, um bei der Digitalisierung ihres eigenen Agrarsektors voranzukommen, seien hier einige Überlegungen dargestellt:
- Die Kompatibilität zwischen öffentlichen und privaten Technologieanbietern ist unerlässlich. Landwirt:innen wollen sich nicht mit vielen isolierten Technologien auseinandersetzen, sondern von integrierten Lösungen profitieren.
- Die landwirtschaftlichen Betriebe sind weiterhin Eigentümer der Daten. Die Betriebe haben jedoch die Wahl, ob sie die Informationen mit öffentlichen oder privaten Technologieanbietern auf sichere Weise teilen wollen.
- Die Kommunikation der kurz- und langfristigen Vorteile der Digitalisierung ist entscheidend, um eine echte Akzeptanz durch die verschiedenen Interessengruppen (landwirtschaftliche Betriebe, politische Teams, Industrieverbände usw.) zu erreichen.
- Vertrauen in die neuen Technologien wird nur durch Sensibilisierung und Aufklärung geschaffen. Daher sollte darin investiert werden, Betrieben die Einführung digitaler Abläufe zu erleichtern und ihnen klar zu kommunizieren, welche Vorteile sich daraus ergeben.
- Mit Anreizen, die einen Mehrwert für den landwirtschaftlichen Betrieb schaffen, entsteht die Motivation für Veränderung.
Millionen von Menschen ernähren sich mit den Erzeugnissen der über 800 000 landwirtschaftlichen Betriebe in Spanien. Als globale Gemeinschaft brauchen wir Projekte wie SIEX, um Erzeugerbetriebe bei der zukünftigen Sicherung ihrer eigenen, langfristigen, finanziellen Lebensfähigkeit zu unterstützen. Das Team des FEGA versteht diesen wichtigen Punkt. Ich hoffe für uns alle, dass CUE/das digitale Notizbuch im September 2024 ein Riesenerfolg für Spanien sein wird. Danach können wir uns auf den zweiten Schritt auf der digitalen Reise der europäischen Landwirtschaft konzentrieren.